Pause oder Produktivität?
- Markus Aspetzberger
- vor 4 Tagen
- 5 Min. Lesezeit

Eine zeitlang hatte ich den Eindruck, etwas habe sich verändert. Dass Sätze wie „Ich bin gerade ziemlich im Stress“ fast schon ihre Position als Statussymbol verloren hatten. Aber wie in vielen anderen Bereichen auch, beschleicht mich das Gefühl, wir bewegen uns gerade zurück. Und Viel-Tun, Stress, Überstunden sollen wieder Ausdruck von Größe und Erfolg werden.
Wer viel arbeitet, gilt als engagiert. Wer keine Zeit hat, ist wichtig. Aber, was steckt hinter diesem Bild von Mensch und Arbeit. Oder was wäre, wenn gar das Gegenteil stimmt?
Wie würden wir auf die Welt schauen, wenn wir denken, dass unsere Produktivität, unsere nachhaltige Wirksamkeit, davon abhängt, dass wir eben nicht immer etwas tun?
Einfach mal aktiv Nichts tun
Gerade im Coaching mit Solo-Selbstständigen, Führungspersonen oder Menschen in Veränderungsphasen begegnen mir immer wieder Sätze wie:
„Wenn ich nichts tue, verliere ich den Anschluss.“, „Was bin ich für ein Vorbild, wenn ich nicht mehr arbeite als mein Team?“ oder „Acht Stunden produktiv sein ist das Minimum, wenn ich erfolgreich sein will.“
Das lässt sich natürlich gut aus der Kultur unserer Arbeitswelt ableiten. Dahinter kann die Angst stecken überholt zu werden, irrelevant zu sein, die Kontrolle zu verlieren. Wer 10 oder 20 Jahre in einem Umfeld von „Wie, Du gehst schon?“ gearbeitet hat, wird sich dessen vielleicht nur schwer entledigen können.
Und es ist nicht so, dass ich nicht manchmal große Freude an einer 50- oder 60-Stunden-Woche habe. Aber wenn wir über das Thema Selbstbestimmung und damit Selbstführung nachdenken, bedeutet das auch, den eigenen Rhythmus zu kennen und zu leben. Nicht, dem Rhythmus anderer hinterherzulaufen.
„Ich hätte nie Zeit gefunden, tagsüber Tennis zu spielen“ fällt mir da als Satz ein. Dass fühlt sich vermutlich ganz normal an, während man in dieser Kultur steckt. Ich würde dem aber auch gern entgegenhalten: eine Pause ist keine Flucht aus der Verantwortung, sondern eine bewusste Entscheidung für Regeneration, Klarheit und Qualität. Und vielleicht andererseits auch eine ganz einfache Idee, um Menschen länger an sich zu binden.
Vielleicht könnte man es auch so ausdrücken: Pausen geben uns Zeit zum Atmen. Wenn uns diese Zeit fehlt, ersticken wir unsere Ideen, unsere Kreativität, unsere Motivation.
Wissenschaftlich betrachtet kann man heute auch sagen, Pausen führen zu besseren Entscheidungen. Wenn Menschen eine Wahl sofort treffen, tendieren sie stärker zu “Primacy Bias” – also einseitige Präferenz basierend auf dem, was zuerst kam. Wenn jedoch die Entscheidung verzögert wird (zum Beispiel über Nacht), sinkt dieser Bias deutlich und Entscheidungen werden ausgewogener. Mehr dazu unter https://neurosciencenews.com/sleep-decision-making-27662/?utm_source=chatgpt.com
Und trotzdem sind Pausen in unserer Arbeitskultur oft verdächtig
Für viele Menschen basiert unsere Arbeitskultur auf einem tief sitzenden Glaubenssatz wie „Wert entsteht durch Leistung.“
Daran ist auch gar nicht so viel falsch. Glaubenssätze sind ja auch an sich nichts Schlechtes. Ihm unreflektiert zu folgen birgt aber Gefahren, weil Leistung nur noch in sichtbarer Aktivität gemessen wird.
Schon die Sprache verrät viel:
„Leerlauf“ – was soll ich bloß mit meiner Zeit anfangen?
„Stillstand“ – nur Bewegung ist Fortschritt.
„Runterfahren“ – macht man prinzipiell nur im Urlaub und zum Feierabend.
In vielen Unternehmen (und genauso im Kopf vieler Solo-Selbstständiger) ist der volle Kalender Maßstab der Bedeutung: Wer Termine hat, ist relevant.
Und wieviele Menschen tragen sich aktiv Pausen in den Kalender? Menschen sind damit in jedem Fall beschäftigt. Aber sind sie deswegen auch wirksam?
Wer gestalten will, muss reflektieren. Wer reflektieren will, braucht dafür Zeit. Wer immer im Tun ist, hat keine Zeit.
Was, wenn Pausen Produktivität ermöglichen?
1. Die 5-Minuten-Atempause vor einem wichtigen Gespräch
Eine Klient*in von mir hat sich irgendwann angewöhnt, vor entscheidenden Meetings drei Minuten lang nichts zu tun. Kein Scrollen, kein E-Mail-Check, kein Nachdenken über Argumente. Nur atmen, ankommen, spüren.
Für manche mag das esoterisch klingen. Aber das Ergebnis gibt ihr Recht: weniger Reaktivität, stärkere Präsenz und deutlich ruhigere Gespräche.
2. Die bewusste „Lücke“ im Kalender von Solo-Selbstständigen
Viele Selbstständige planen ihre Zeit minutiös – aber nicht ihre Erholungsphasen.
Ich werfe dann gern die Idee in den Ring eine Stunde pro Tag als „gedachte Leerstelle“ zu reservieren. Nicht als To-Do, sondern als bewusster Raum: zum Gehen, Lesen, Musik hören, Denken oder eben: Nichtstun.
Diese Stunde ist keine verlorene, sondern eine gewonnene Zeit – weil sie Energie für die nächsten Stunden liefert. Und wer hat entschieden, dass wir nur in 8 Stunden am Stück gute Arbeit leisten?
3. Das „Nichts-Tun“ als Strategie in der Krise
Ein Klient im Umbruch – sein fast fix geglaubter großer Auftrag ist gerade weggebrochen. Es war so viel Zeit und Energie hineingeflossen, dass gar kein Raum für neue Wege war. Es sollte also sofort eine Lösung her.
Im Prozess kam er dazu, eine Woche bewusstes Nicht-Entscheiden zu wagen. Kein Aktionismus, keine schnellen Angebote oder Ausschreibungen.
Nach ein paar Tagen kam die Klarheit: Er hatte sich selbständig gemacht, weil er wusste, was er tun wollte, nicht warum. Das veränderte seine Strategie.
Warum das Gehirn Pausen braucht
Neurowissenschaftlich ist klar: Unser Gehirn arbeitet in einem sogenannten Default Mode Network – einem Netzwerk, das aktiv ist, wenn wir nicht fokussiert arbeiten. In diesen Momenten verknüpft das Gehirn Informationen neu, erkennt Zusammenhänge, erzeugt Kreativität.
Das heißt aber auch: Wenn wir ständig beschäftigt sind, verhindern wir genau die Prozesse, die Innovation, Einsicht und neue Perspektiven ermöglichen.Das Gehirn arbeitet auch dann – vielleicht sogar besser, reflektierter und kreativer – wenn wir es einfach mal in Ruhe lassen.
Wer mehr darüber lesen will, kann das z.B. unter https://www.simplypsychology.org/what-is-the-default-mode-network.html
Aber wie gelingen uns Pausen im Alltag?
Pausen müssen nicht groß sein. Sie sollten aber bewusst sein.
Hier einige einfache, aber wirkungsvolle Vorschläge:
Die „Übergangsminute“
Zwischen zwei Aufgaben eine Minute Stille. Kein Scrollen, kein Planen. Nur wahrnehmen: Was war gerade, was kommt jetzt?
Die „analoge Mittagspause“
Kein Bildschirm, kein Podcast, kein Scrollen, kein Handy – nur essen. Vielleicht mit jemandem sprechen. Vielleicht auch mal schweigen.
Das „Nicht-Tun-Ritual“
Einmal pro Woche eine Stunde ohne Ziel. Kein Buch, kein Spaziergang „für die Schritte“. Einfach nichts. (Ich kann aus Erfahrung sagen: das klingt gerade am Anfang einfacher als es ist.)
Die „bewusste Grenze“
Den Arbeitstag nicht beenden, wenn die letzte Mail raus ist, sondern wenn du bewusst sagst: „Ich bin fertig für heute.“
Kleiner Satz, große Wirkung.
Wenn Du Pausen argumentieren sollst
In einer Kultur, die Geschwindigkeit feiert, braucht es manchmal Mut, langsam zu sein oder eben Pause zu machen.
Hier ein paar Argumente, die auch im Business-Kontext tragen:
Pausen erhöhen die Qualität der Entscheidungen.
Pausen schützen vor Burnout.
Pausen fördern Kreativität.
Mehr dazu gibt es bei der National Library of Medicine: Mehr dazu unter https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC9432722/?utm_source=chatgpt.com
Fazit: Es ist eine Kunst, nichts zu tun
Pause ist Teil von Selbstführung. Und zu guter Selbstführung gehört am Ende zu wissen, wann Handeln klug ist und wann Nichtstun schlauer ist.
Gute (Selbst-)Führung zeigt sich nach außen wie nach innen nicht an der Menge der erledigten Aufgaben, sondern an der Klarheit und Qualität, mit der sie erfüllt werden.
Und diese Klarheit entsteht selten im Tun, sondern fast immer dazwischen.
Und jetzt, würde ich vorschlagen: Einfach mal drei Minuten Pause.