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  • AutorenbildMarkus Aspetzberger

Führungskraft als Coach – Coaching als Führungsstil?

Aktualisiert: 22. Apr. 2023


Im ersten Blog-Beitrag möchte ich mich einem Thema widmen, das zwar nicht mehr ganz neu ist, aber die Diskussionen darüber werden weiter leidenschaftlich geführt. Führungskräfte als Coaches – ist das die Zukunft? Wenn man sich die Gegenwart ansieht, gibt es dazu viele Weiterbildungsangebote, aber wenige Erfolgsgeschichten aus dem Arbeitsalltag. Deswegen will ich die Frage stellen: Macht denn dieser Ansatz Sinn? Hier der Versuch einer Klärung – und eine mögliche Antwort.


Das Grundverständnis von Coaching

Da es unterschiedliche Coaching-Ansätze und -Verständnisse gibt, sei vorweggenommen, dass mein Blick auf das Thema sich auf Systemisches Coaching bezieht. Das heißt, ich rede von Grundlagen wie Systemtheorie und Konstruktivismus. In diesem Sinn versteht Coaching sich als Unterstützung bei der Findung eigenverantwortlicher Lösungen. Ganz klar ist: Nur der Klient oder die Klientin kann die Lösung finden. Das ist weder Aufgabe des Coaches, noch kann er das für die vielen unterschiedlichen Herausforderungen seiner Klient*innen leisten. Deswegen formuliert auch der Klient oder die Klientin selbst das Ziel, erarbeitet die Lösung und erlebt so bestmögliche Umsetzungserfolge.[1]


Auch wenn das Anliegen der Klient*innen im Systemischen Coaching ein berufliches ist, bewegt der Prozess sich immer in einem Dreieck aus Beruf, Organisation und Privatleben. Der Coach und der Klient oder die Klientin begegnen sich auf Augenhöhe, gehen für die Dauer des Coachings eine „spezielle Beziehung“ ein. Der Coach übernimmt die Verantwortung für den sicheren Rahmen und den Prozess, der Klient oder die Klientin ist für das Finden von Lösungen und das Implementieren in seinen Alltag verantwortlich.


Der systemische Ansatz geht zudem davon aus, dass das Verhalten von Menschen davon abhängig ist, in welchem Kontext sie sich aktuell befinden, bzw. in welchem Kontext ihr Anliegen angesiedelt ist. Es ist also gut möglich, dass der Klient sich im Coaching anders fühlt, verhält und denkt, als er das in seinem beruflichen Alltag tut. Zur Veranschaulichung: Denken Sie kurz an sich selbst. Montag früh. Sie kommen ins Büro und erzählen Ihrer Kollegin, was Sie am Wochenende erlebt haben. Abends treffen Sie einen Freund und erzählen auch ihm, wie Sie das Wochenende gestaltet haben. Erzählen Sie zwei Mal die gleiche Geschichte? Oder gibt es Unterschiede? In den Details, in der Wortwahl, in der Ausführlichkeit?


Als Grundlage für Coaching dient erfolgreiche Kommunikation. Das bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die vom „Absender“ übermittelte Information angekommen, verstanden und durch sogenannte Anschlusskommunikation bestätigt wurde. Eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe, die mit unserem alltäglichen Begriff von Kommunikation wenig zu tun hat. Dort herrscht oft das genaue Gegenteil: Rauschen. Eine Botschaft wird gesendet – irgendjemand wird sie schon verstehen.


Das Grundverständnis von Führung

Führung hat zwei zentrale Aufgaben: Verbinden und Entscheiden. Diese beiden Aspekte sind essentiell, um das Überleben einer Organisation sicherzustellen.


Verbinden bedeutet, die Ansprüche und Erwartungen unterschiedlicher Seiten zusammenzubringen – sowohl jener von innen als auch jener von außen.


Entscheiden heißt, Komplexität reduzieren. Es geht darum, Alternativen auszuschließen und so dafür zu sorgen, dass die Organisation sich in eine gemeinsame Richtung bewegt. Für Führung bedeutet das aber auch, dass trotz eines gewissen Maßes an Ungewissheit und einer Unsicherheit darüber, wie die Entscheidung sich auf die Zukunft auswirken wird (und in zunehmend komplexeren Welten werden Prognosen immer schwieriger), Risiken eingegangen werden müssen.


Die Führungskraft steht in der Praxis damit immer in einem Dreieck aus „sich selbst führen“ – „die Organisation führen“ und „Menschen führen“.[2]


Das macht auch deutlich, dass jede Führungskraft auf ihrer Ebene führen und entscheiden muss, wenn die Organisation lebensfähig sein will. Dazu braucht es klare Regeln: Wer trifft welche Entscheidungen in welchem Bereich? In Organisationen wird das über die Funktion und die Position der Führungskraft festgemacht.


Wenn wir uns jetzt auf die Mitarbeiter*innenführung konzentrieren, hat die Führungskraft drei zentrale Aufgaben:


· die Bedürfnisse der Mitarbeiter*innen mit den Anforderungen der Organisation verbinden

· die Leistung(sfähigkeit) der Mitarbeiter*innen sicherstellen

· die Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeiter*innen gewährleisten


Basis all dieser Aufgaben ist Kommunikation, Menschen zu führen ist nur über Kommunikation möglich. Aber, wie schon erwähnt: Kommunikation ist keine Einbahnstraße. Das heißt, Führung kann erst durch erfolgreiche Kommunikation stattfinden, einen erfolgreichen Austausch zwischen Führendem und Geführtem. Austausch bedeutet damit auch, dass nicht nur die Führungskraft Einfluss auf die Mitarbeiter*innen nimmt, sondern auch Mitarbeiter*innen versuchen werden, Einfluss auf die Führungskraft zu nehmen. Ein Beispiel: Ihr Schreibtisch ist voll, Ihr Terminkalender auch, die Aufgaben stapeln sich. Ihre Führungskraft lädt Sie zu einem Gespräch ein und fragt, ob Sie Unterstützung brauchen oder ob Sie Aufgaben abgeben möchten. Nehmen Sie das Angebot an oder lehnen Sie dankend ab? Wägen Sie dabei nur den Arbeitsaufwand ab, oder geht es auch um das Bild, das Ihr Vorgesetzter von Ihnen haben soll?


Und jetzt: die Führungskraft als Coach?

Es scheint also gewisse Überschneidungen zwischen Coaching und Führung zu geben. Beides bedarf erfolgreicher Kommunikation, beides soll Menschen zu Erfolg befähigen. Dann lassen Sie uns im Folgenden einmal einen Blick in die Details werfen.


Sich auf Augenhöhe begegnen

Beim Coaching begegnen Coach und Klient*in sich grundsätzlich auf Augenhöhe. Wie ist das bei Führung? Sie findet immer innerhalb von Machtstrukturen statt. Die Führungskraft ist nicht nur den Mitarbeiter*innen, sie ist auch der Organisation verpflichtet. Ihre Aufgabe ist es, das Bestehen des Systems, also der Organisation, sicherzustellen. Dazu gehört zwar auch, den Mitarbeiter*innen das bestmögliche Umfeld zu bieten. Was aber, wenn das Beste für den Mitarbeiter*innen nicht gleich dem Besten für das Unternehmen ist? Dann ist der Auftrag an die Führungskraft ganz klar. Egal also, wie vertrauensvoll und wertschätzend die Führungskraft ihre Aufgabe wahrnimmt, sie kann schon aus der Struktur heraus nicht jenen sicheren Rahmen zur Verfügung stellen, der im Coaching Grundvoraussetzung für die Zusammenarbeit ist.


Entscheidungen treffen

Ganz zu Beginn der Charakterisierung von Führung habe ich festgehalten, dass Entscheiden eine der zentralen Aufgaben von Führung ist. Und damit eine der wichtigsten Unterschiede zum Coaching. Denn im Sxystemischen Coaching entscheidet der Klient darüber, wie weit er gehen will, ob er eine Methode annehmen will. Er entscheidet, ob die Lösung für ihn passt und er ob sie im Alltag anwenden wird.


Eine Führungskraft hat Rahmenbedingungen, deren Umsetzung sie sicherstellen muss. Sie steht in der Verantwortung, die Vorgaben der jeweiligen Organisation umzusetzen. Das heißt natürlich nicht, dass sie ihren Mitarbeitern vorgibt, wie diese zu arbeiten haben. Sie wird aber Ziele mit ihnen vereinbaren, die zu den Zielen der Kollegen und des Unternehmens passen.


Wenn also eine Führungskraft nur noch als Coach agiert, keine Entscheidungen mehr trifft, wird sie vielleicht für vermeintlich mehr Freiheit und Selbstbestimmtheit bei ihren Mitarbeitern sorgen – schlussendlich aber weder dazu beitragen Komplexität zu vermindern, noch Orientierung zu geben.


Love it, change it or leave it – im Rollenkonflikt

Das ist aus meiner Sicht eine der wenigen einfachen Regeln, von denen man für den Arbeitsalltag ausgehen kann. Im Coaching kann man erarbeiten, welcher Weg für die Klient*innen aktuell am besten passt. Aber als Führungskraft? Welcher Mitarbeiter würde seinem Vorgesetzen anvertrauen, dass er innerlich bereits gekündigt hat? Und welche Führungskraft würde dann ihre Arbeitszeit investieren, um diesen Mitarbeiter vollkommen wertfrei beim Finden eines Auswegs, eines neuen Jobs, zu unterstützen?


Wer hat welchen Auftrag?

Ein Coach arbeitet nur mit Menschen an Themen, wenn er für beides einen Auftrag hat – vom Klienten. Sich um Menschen und Themen zu kümmern, ist naturgemäß auch Aufgabe einer jeden Führungskraft. Der Führungsauftrag kommt aber in diesem Fall nicht vom Mitarbeiter, sondern vom Unternehmen. Damit gilt auch an diesem Punkt: Als Führungskraft und Coach gleichzeitig zu agieren, führt zu Rollenkonflikten.


Der Blick von außen

Ein letzter, aber essentieller Punkt: Der Blick von außen. Als Coach ist man nicht Teil des Systems des Klienten oder der Klientin. Der Coach blickt immer von außen auf die Schilderung, die der Klient / die Klientin ihm von seinem / ihrem System Arbeit anbietet. Dieser Vorteil fehlt der Führungskraft, denn sie ist Teil genau jenes Systems, in dem der Mitarbeiter / die Mitarbeiterin agiert. Kann die Führungskraft also einen Schritt nach außen machen, das System verlassen? Seine eigene Rolle abstrahieren und die Beziehung zum Klienten, Mitarbeiter, anders betrachten, wenn das nötig wird? Und sollte ihr dieses Kunststück gelingen, wird das für den Mitarbeiter glaubhaft sein?


Fazit

Es stellt sich aus meiner Sicht recht klar dar, dass ein Konzept „Führungskraft als Coach – Coaching als Führungsmethode“ nicht realistisch ist. Coaching als Führungsmethode muss fast zwangsläufig daran scheitern, dass es zu zahlreichen Rollen- und Interessenskonflikten kommt. Die Führungskraft wird so von ihren Mitarbeiter*innen nicht konsistent wahrgenommen und kann weder die Führungs- noch die Coaching-Anforderung zu 100 % erfüllen.


Immerhin, es gibt ein „und trotzdem“. Auch wenn die Führungskraft aufgrund ihrer Rolle nicht als Coach für die eigenen Mitarbeiter*innen agieren kann, bietet Coaching Chancen. So gelten Empathie, bedingungslose positive Zuwendung und Kongruenz als grundlegende Haltung eines systemischen Coachs[3]. Ein Bewusstsein für den systemischen Dreisprung von Beschreiben, Erklären und Erhalten kann ebenfalls nicht schaden. Im Coaching gibt es aber auch eine breite Palette an Werkzeugen und Methoden, die sich auch eine Führungsarbeit zu eigen machen kann. Einfaches Paraphrasieren hilft bei gegenseitigem Verständnis. Anliegen zu visualisieren bringt sie auf eine andere Ebene und den Konflikt zwischen zwei Kollegen mithilfe des Meta Mirror zu betrachten, kann zu überraschenden Lösungen führen. Dazu muss die Führungskraft dann auch nicht gleich Coach werden.

[1] Vgl. Sonja Radatz, „Beratung ohne Ratschlag“, S. 87

[2] Vgl. Ruth Seliger, „Das Dschungelbuch der Führung“, S. 33ff

[3] Nach Carl Rogers

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